AMB 2016, 50, 17 

Zusammenfassung: Drei Untersuchungen aus Österreich zum Thema Sponsoring in der Medizin zeigen ein klares Muster: Sponsoring von CME Ärztefortbildungen, Patienteninitiativen und Anwendungsbeobachtungen findet vor allem dort statt, wo Verordnungen und Umsatz hochpreisiger Arzneimittel gesteigert werden sollen: HĂ€matologie/Onkologie, Rheumatologie, Endokrinologie, Multiple Sklerose. Offensichtlich wird dabei das Sponsoring unzureichend gemeldet und von öffentlichen Stellen (Arztakademie, Bundesamt fĂŒr Sicherheit im Gesundheitswesen) nicht kontrolliert, geschweige denn sanktioniert. Die Ergebnisse der hier dargestellten Untersuchungen verstĂ€rken den Verdacht, dass durch finanzielle Beziehungen zwischen Industrie und Ärzteschaft bzw. PatientenverbĂ€nden eine objektive, evidenzbasierte und
CME PunkteIm Jahr 2009 wurde in den USA von dem republikanischen Senator Grassley ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht – „Physician Payment Sunshine Act“ (PPSA) – der pharmazeutische Unternehmer (pU) und Hersteller von Medizinprodukten (HMP) verpflichtet, Zahlungen an Wissenschaftler, Ärzteschaft, PatientenverbĂ€nde sowie medizinische Aus- und FortbildungsstĂ€tten vollstĂ€ndig offenzulegen (1, 2). Dieses Gesetz wurde 2012 verabschiedet, und seit Ende September 2014 sind diese Zahlungen öffentlich zugĂ€nglich. Eine Recherche von ProPublica (3), einem unabhĂ€ngigen („non-profit“) digitalen Medium des investigativen Journalismus in den USA ergab, dass im Zeitraum zwischen 2009 und 2013 Zahlungen von 1.630 pU oder HMP in einer Höhe von insgesamt 3,53 Mrd. US-$ geleistet wurden an 681.432 Ärzte und 1.360 LehrkrankenhĂ€user (4). Unter dem Titel „A pharma payment a day keeps docs‘ finances okay“ finden sich detaillierte Auswertungen zu den Zahlungen in 2014, die neben LizenzgebĂŒhren vorwiegend erfolgten fĂŒr VortrĂ€ge anlĂ€sslich von pU oder HMP gesponserten Veranstaltungen, BeratertĂ€tigkeiten und Übernahme von Reise-/Übernachtungskosten (5).CME Fortbildung fĂŒr Ärzte

In Anlehnung an den US-amerikanischen PPSA (1, 2) hat die European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA) im Jahre 2013 den „Code on Disclosure: Responsible Transparency“ (Transparenzkodex) beschlossen (6). Darin verpflichten sich die Mitglieder freiwillig zur Veröffentlichung aller geldwerten Zuwendungen an Ärzte und weitere Angehörige der Fachkreise, wohl auch um einer gesetzlichen Regelung wie in den USA zuvorzukommen. Der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (PHARMIG) hat die EFPIA-Empfehlungen in einem nationalen Codex umgesetzt (7), und auch in Deutschland wurden inzwischen entsprechende Transparenzkodices verabschiedet – sowohl von der „Freiwilligen Selbstkontrolle fĂŒr die Arzneimittelindustrie e.V.“ (FSA) als auch vom Verein „Arzneimittel und Kooperation im Gesundheitswesen e.V.“ (AKG), der vom Bundesverband der pharmazeutischen Industrie initiiert wurde (8, 9). Demnach sollen ab 2016 alle „geldwerten“ Zuwendungen der pU an Ärzte, Angehörige der Fachkreise und Organisationen des Gesundheitswesens (z.B. Patienten-Selbsthilfegruppen), die im Jahr 2015 erfolgten, auf den jeweiligen Webseiten der pU offengelegt werden. Im Jahr 2017 sollen diese Regelungen auch fĂŒr HMP gelten (10). Auch fĂŒr die nicht-interventionellen Studien (NIS) oder Anwendungsbeobachtungen (AWB), mitunter auch „seeding trials“ genannt (11), besteht seit 2012 durch eine EU-Vorgabe eine Meldeverpflichtung (12). Das österreichische Bundesamt fĂŒr Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG; 13) bzw. das Bundesinstitut fĂŒr Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut in Deutschland (PEI; 14) sind fĂŒr die FĂŒhrung dieser NIS-Register verantwortlich. Sie sind öffentlich einsehbar.

 

Das Ludwig Boltzmann Institut fĂŒr Health Technology Assessment (LBI-HTA) hat diese, in Österreich ĂŒberwiegend freiwilligen Offenlegungsverpflichtungen zum Anlass genommen, in einer Serie von drei Publikationen zum ĂŒbergreifenden Thema „Transparenz“ das derzeit vorliegende Wissen zum Sponsoring von Ärztefortbildungen, PatientenverbĂ€nden und von NIS in Österreich unter die Lupe zu nehmen. Dadurch soll auch eine Ausgangsbasis der Methodik und Daten fĂŒr spĂ€tere Analysen geschaffen werden.

 

Ausmaß des Sponsorings Ă€rztlicher Fortbildung (15): Zu dieser Frage wurden aus dem Diplom-Fortbildungs-Kalender (DFP) der Österreichischen Akademie der Ärzte 13 von 56 medizinischen FĂ€chern ausgewĂ€hlt. Ziel war es, den Anteil der Veranstaltungen festzustellen, die von pU oder anderen Organisationen im Untersuchungszeitraum vom 1.12.2013 bis 30.11.2014 finanziell unterstĂŒtzt wurden. Insgesamt wurden 5.024 von 20.260 aller angebotenen Veranstaltungen (ca. 25%) hinsichtlich Sponsoring ausgewertet. Es zeigte sich, dass der Sponsoringanteil sehr unterschiedlich war, und zwar in AbhĂ€ngigkeit von der medizinischen Fachdisziplin. In medizinischen FĂ€chern mit Arzneimitteln, die hohe Kosten und/oder Verordnungen erzielen, fand sich der höchste Anteil an gesponserter Fortbildung: z.B. Rheumatologie (67,2%); Endokrinologie (61%); HĂ€matologie/Onkologie (46%). Am geringsten war das Sponsoring bei Fortbildungsveranstaltungen im Bereich der Angiologie (14,3%), der GynĂ€kologie (15,2%) und HNO (17,9%). Es gibt allerdings deutliche Hinweise dafĂŒr, dass der tatsĂ€chliche Anteil an Sponsoring in allen Fachdisziplinen weit höher ist und dass auf Grund der fĂŒr die Erfassung verwendeten Methodik und der Meldepraxis die Ergebnisse verzerrt sind und bei weitem nicht alle gesponserten Veranstaltungen erfasst wurden. So gingen in die Analyse nur Fortbildungen ein, die im Diplom-Fortbildungs-Programm(DFP)-Kalender erfasst waren. Fortbildungen, fĂŒr die keine DFP-Punkte beantragt wurden, konnten also nicht berĂŒcksichtigt werden. Darunter fielen auch einige große internationale Kongresse mit sehr hoher finanzieller UnterstĂŒtzung durch pU. Außerdem erfolgt die Meldung eines Sponsorings durch den Veranstalter und unterliegt keiner systematischen Kontrolle. In stichprobenartigen ÜberprĂŒfungen zeigte sich, dass ein Sponsoring oft erst im endgĂŒltigen Programm ausgewiesen wurde, jedoch noch nicht bei der AnkĂŒndigung der Veranstaltung im DFP-Kalender. Schließlich werden bestimmte Formen des Sponsorings, wie Vortragshonorare oder finanzielle UnterstĂŒtzung von Reise-/Übernachtungskosten, im DFP-Kalender praktisch nie ausgewiesen. Auch in Deutschland ist es schwer, den Vorgaben zur „Produkt- und InteressenneutralitĂ€t“ bei Online-Angeboten von Fortbildungsveranstaltungen im Rahmen der Zertifizierung und Vergabe von CME-Punkten nachzukommen, wie eine aktuelle, leider lĂŒckenhafte Erhebung und ein kritischer Kommentar dazu zeigen (22, 23).

 

Ausmaß des Sponsorings von PatientenverbĂ€nden (16): Hierzu wurden die Webseiten aller 115 Mitgliedsunternehmen der PHARMIG (Stand: Juli 2015) untersucht auf Informationen zu finanziellen Zuwendungen an Patientenorganisationen im Jahr 2014. Zum Vergleich wurden auch die Webseiten der von den pU genannten Patientenorganisationen gesichtet. Danach wurden die Daten nach pU, Patienteninitiativen und Krankheiten zusammengefasst. Nur bei 24 von 115 PHARMIG-Mitgliedsunternehmen (21%) wurden Angaben zum Jahr 2014 gefunden. Insgesamt wurden von diesen pU Zuwendungen in Höhe von 1,1 Mio. € deklariert. Die meisten Zuwendungen (63%) erhielten Initiativen aus den Gebieten HĂ€matologie/Onkologie, Rheumatologie, Neurologie und HĂ€mostaseologie. Die höchsten deklarierten Zuwendungen erhielt 2014 die Österreichische Multiple Sklerose Gesellschaft, gefolgt von der Österreichischen HĂ€mophilie Gesellschaft, der Hepatitis Hilfe Österreich sowie der Parkinson Selbsthilfe Österreich. Der Vergleich auf den Webseiten von Patientenorganisationen war nur begrenzt möglich, da nicht alle von ihnen eine aktuelle und funktionierende InternetprĂ€senz haben. Wegen des erwĂ€hnten geringen Anteils der PHARMIG-Mitgliedsunternehmen, die Zuwendungen an Patientenorganisationen auf ihren Webseiten deklarieren, und weil auf den vorhandenen Webseiten der Patienteninitiativen deutlich mehr Firmenlogos zu sehen sind, ist auch hier von einem erheblichen „Underreporting“ auszugehen. DarĂŒber hinaus konnten verschleierte Zahlungen der pU an Patienteninitiativen, etwa ĂŒber PR-Agenturen, Verlage oder Stiftungen nicht erfasst werden.

 

Über die großzĂŒgige finanzielle UnterstĂŒtzung der Patientenorganisationen auch in Deutschland durch pU – gegenwĂ€rtig in Höhe von ca. 5,6 Mio. €/Jahr – und wesentliche Ziele der Zusammenarbeit von pU mit Patientenorganisationen hatten wir kĂŒrzlich berichtet (17). Der Verband der Ersatzkassen (vdek) hatte anlĂ€sslich der Publikation seiner aktualisierten und erweiterten BroschĂŒre „Ungleiche Partner –Patientenselbsthilfe und Wirtschaftsunternehmen im Gesundheitssektor“ (18) zu Recht Vorsicht bei der Finanzierung von Patientenorganisationen angemahnt, da pU, aber auch HMP, bei der UnterstĂŒtzung von Selbsthilfegruppen oft eigene Zwecke verfolgen. Um zu vermeiden, dass die Selbsthilfegruppen fĂŒr die Interessen der Geldgeber benutzt werden und damit ihre UnabhĂ€ngigkeit verlieren, fordert der vdek vor allem Transparenz. Mindestens einmal im Jahr sollten die GeldflĂŒsse und Zuwendungen detailliert veröffentlicht werden (18).

 

Sponsoring von nicht-interventionellen Studien (NIS) in Österreich (19): Mit Stichtag 7. Aug. 2015 waren in der Datenbank der Österreichischen Agentur fĂŒr ErnĂ€hrungssicherheit (AGES) 251 NIS registriert. Diese wurden auf die ErfĂŒllung der gesetzlichen Auflagen (Ort, Zeit, Anzahl der Patienten und Ziel der NIS sowie Abschlussberichterstattung 12 Monate nach Ende der Datenerfassung) hin ĂŒberprĂŒft. DarĂŒber hinaus wurden alle 251 Studienbetreiber kontaktiert und alle Studienmedikamente nach ATC-Gruppen kategorisiert. In den 251 Studien werden 406.831 Patienten gefĂŒhrt. Wie viele davon tatsĂ€chlich österreichische Patienten sind, ist nicht dokumentiert. Direkt von einem pU werden/wurden 191 NIS (76%) durchgefĂŒhrt, weitere durch vorgeschaltete Forschungsgesellschaften wie die Arbeitsgemeinschaft medikamentöse Tumortherapie (AGMT), die „Central European Society for Anticancer Drug Research“ (CESAR) oder die „Clinical Research Services“ (CRS). Nur bei 33 NIS sind im Register Kurzfassungen eines Abschlussberichts hinterlegt, wobei bloß acht die in der betreffenden Verordnung festgelegten formalen Erfordernisse auch tatsĂ€chlich erfĂŒllen. Zu mindestens 14 NIS (und bis zu 31 weiteren) hĂ€tten bereits Kurzfassungen des Abschlussberichts hinterlegt sein mĂŒssen, da diese Studien mehr als 12 Monate zuvor beendet worden waren. Die hĂ€ufigsten „Forschungsfragen“ der NIS waren „Wirksamkeit unter Praxisbedingungen“ und „Arzneimittelsicherheit“. Die am hĂ€ufigsten „untersuchten“ Arzneimittel waren: onkologische Medikamente (56), Immunsuppressiva (42) sowie Immunstimulanzien (15) bei onkologischen, rheumatologischen und neurologischen Indikationen.

 

Auch in Deutschland sind seit 2015 Informationen zu AWB, einer Untergruppe der NIS im Sinne von § 4 Absatz 23 des Arzneimittelgesetzes (AMG), öffentlich zugĂ€nglich. Sowohl das PEI als auch das BfArM haben gemĂ€ĂŸ den Transparenzregelungen des § 67 Absatz 6 des AMG jeweils eine Online-Datenbank zu AWB mit Arzneimitteln ihrer ZustĂ€ndigkeit eingerichtet (20). In diesen Online-Datenbanken finden sich u.a. Angaben zum Auftraggeber der AWB, zur Institution, die die AWB durchgefĂŒhrt hat, zum Titel der AWB, zu den Zielen, zum Beginn bzw. Ende der AWB und zur Patientenzahl bzw. Zahl der beteiligten Ärzte. Außerdem kann ein, allerdings in Teilen geschwĂ€rzter Beobachtungsplan der AWB eingesehen werden. Momentan (Stichtag: 28.2.2016) existieren in der Online-Datenbank beim BfArM insgesamt Angaben zu 555 AWB und beim PEI zu 339 AWB. Wir sind gespannt – analog zu der Untersuchung in Österreich (19) – auf die Ergebnisse einer detaillierten Analyse in Deutschland zu den untersuchten Wirkstoffklassen, Zielen der AWB und „wissenschaftlichen“ Ergebnissen. Erste derartige Auswertungen von Transparency International legen – nicht ganz ĂŒberraschend – nahe, dass AWB hĂ€ufig Scheinforschung sind und als mögliches Instrument fĂŒr unzulĂ€ssige Einflussnahme und Korruption im Gesundheitswesen genutzt werden (21). Eine gerade eingerichtete Webseite eines Gemeinschaftsprojekts von NDR, WDR und SĂŒddeutscher Zeitung (24) in Zusammenarbeit mit der Redaktion „Correctiv“ (durch Stiftungsmittel finanziert) gibt an Hand intensiver Recherchen erstmals Einblick in „VergĂŒtungen“, die im Rahmen von 1.300 AWB in Deutschland in den Jahren 2009 bis 2014 gezahlt worden sind und fĂŒr welche PrĂ€parate: Es waren 100 Mio. € pro Jahr an insgesamt 17.000 Ärzte, davon waren nach Angaben der KassenĂ€rztlichen Bundesvereinigung 12.000 niedergelassen. Dies sind Aufwendungen, die in sinnvoller Forschung besser angelegt wĂ€ren.

 

Literatur

  1. Javies, D., et al.: BMJ 2014, 349, g6003. Link zur Quelle
  2. AmericanMedical Association. Link zur Quelle. AMB 2014, 48, DB01 Link zur Quelle. AMB 2012, 46, 16b. Link zur Quelle
  3. https://www.propublica.org/about/ Link zur Quelle
  4. https://projects.propublica.org/docdollars/ Link zur Quelle
  5. https://www.propublica.org/article/a-pharma-payment-a-day- keeps-docs-finances-ok# Link zur Quelle
  6. EuropeanFederation of Pharmaceutical Industries and Associations. The EFPIA Code: Link zur Quelle
  7. PHARMIG/Verbandder Pharmazeutischen Industrie Österreichs. Verhaltenscodex (nach Änderung1.7.2014). Link zur Quelle
  8. http://www.fsa-pharma.de/Link zur Quelle
  9. http://www.ak-gesundheitswesen.de/home/ Link zur Quelle
  10. MedTech Europe. http://www.medtecheurope.org/node/715 Link zur Quelle
  11. AMB 2009, 43, 30. Link zur Quelle
  12. BMG/Bundesministerum fĂŒrGesundheit. Verordnung des Bundesministers fĂŒr Gesundheit ĂŒber die MeldepflichtfĂŒr Nicht-interventionelle Studien – StF: BGBl. II Nr. 180/2010, geĂ€ndert durchBGBl. II Nr. 484/2012. Link zur Quelle
  13. https://forms.ages.at/… Link zur Quelle
  14. http://www.pei.de/DE/infos/pu/genehmigung-klinische-pruefung/ anwendungsbeobachtungen/ awb-datenbank-pei/ awb-datenbank-inhalt.html Link zur Quelle
  15. Wild, C., et al.: Link zur Quelle
  16. Wild, C., et al.: Link zur Quelle
  17. AMB2015, 49, 56ÖB01. Link zur Quelle
  18. https://www.vdek.com/… Link zur Quelle
  19. Gregor-Patera, N., etal.: Link zur Quelle
  20. http://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/vigilanz/bulletin-zur-arzneimittelsicherheit/2015/3-2015.pdf?__blob=publicationFile&v=6
  21. https://www.transparency.de/… Link zur Quelle
  22. Lenzen, L.M., et al.: Zeitschrift fĂŒrEvidenz, Fortbildung und QualitĂ€t im Gesundheitswesen 2016, 110-111, 60. Link zur Quelle
  23. Wille, H., und MĂŒhlbauer, B.: Link zur Quelle
  24. https://correctiv.org/recherchen/euros-fuer-aerzte/Link zur Quelle